Die Veränderung der Wettbewerbsbedingungen bewegt viele produzierende Unternehmen dazu, neue Produktionsstätten im Ausland zu eröffnen. Die Vergrößerung von unternehmensinternen Produktionsnetzwerken führt zu einer abnehmenden Kenntnis über die Fertigungsmöglichkeiten im Netzwerk. Zur Behebung dieses Informationsmangels ist eine Gesamtsicht auf das Produktionsnetzwerk und die Transparenz der Fertigungsstruktur notwendig. Welcher Standort innerhalb eines Produktionsnetzwerks die technischen Möglichkeiten und die notwendige technische Kompetenz besitzt, ein zusätzliches Produktionsvolumen zu fertigen, wurde in der Literatur bislang nicht betrachtet und ist Thema der vorliegenden Arbeit.
Zur Entwicklung der Transparenz der Fertigungsstruktur innerhalb von Produktionsnetzwerken wird die Methode MAE-P3 (Maschinen Anlagen und Einrichtungen – Prozess – Produkt – Planungen) entwickelt, mit deren Hilfe die technischen Kriterien von Produktionslinien und Prozessketten von Produkten verglichen werden können. Zur Nutzung der MAE-P3 Methode wird ein intranetbasiertes Datenbanksystem entwickelt, welches Produktionslinien und Prozessketten von Produkten visualisiert und mit Hilfe eines Algorithmus aus der Bioinformatik abgleicht. Darüber hinaus wird die Methode genutzt, um vor allem an den neuen Niedrigkostenstandorten Synergien aus der Ferti-gungsstruktur zu erlangen. In einem Praxisbeispiel wird der Einsatz der MAE-P3 Methode zur Optimierung eines Endmontagebereichs gezeigt.
Ergeben sich aus der Untersuchung mittels der Methode MAE-P3 mehrere technische Möglichkeiten zur Produktion der Produktionsvolumina innerhalb des Produktionsnetzwerks, so stellt sich die Frage, welcher Standort die höchste Kompetenz innerhalb des Netzwerks besitzt. Hierfür wird eine Kennzahl zur Bewertung der Prozessbeherrschung der weltweit verteilten Fertigungsstruktur identifiziert.
Aus der Untersuchung von Finanz-, Prozess-, Produktions-, Qualitäts- und Mitarbei-terkennzahlen kristallisieren sich die Bearbeitungs- und Zykluszeit aufgrund ihrer Aussagekraft, ihrer Vergleichbarkeit und Ermittelbarkeit als Kennzahlen zur Bewertung der Prozessbeherrschung heraus. Aus diesen Kennzahlen wird ein Kennzahlensystem entwickelt, welches aus den drei Kennzahlen unbereinigter Zykluszeitvergleich, bereinigter Zykluszeitvergleich und Stabilität der Zykluszeit besteht. Der unbereinigte Zykluszeitvergleich stellt das Verhältnis von tatsächlicher zu erreichter Zykluszeit des Engpasses einer Produktionslinie dar. Da die Kompetenz von Standorten im Vergleich gezeigt werden soll, werden in der zweiten Kennzahl bereinigter Zykluszeit-vergleich nur diejenigen Zykluszeiten betrachtet, die keine größeren Unterbrechungen der Produktion beinhalten. Größere Unterbrechungen entstehen durch Störungen, Materialknappheit, Abwesenheit von Mitarbeitern, Pausen oder Leerschichten. Die dritte und wichtigste Kennzahl stellt die Stabilität der Zykluszeit dar. Sie zeigt, wie routiniert und stabil eine Serienfertigung betrieben wird und wird durch die Mittlere Absolute Abweichung der Zykluszeiten berechnet.
Aus der Methode MAE-P3 und dem Kennzahlensystem Prozessbeherrschung wird die struktur- und kompetenzbasierte Methodik zur globalen taktischen Produktionspla-nung abgeleitet. Mit Hilfe dieser Methodik werden die technischen Möglichkeiten in-nerhalb eines Produktionsnetzwerks zur Produktion eines zu verlagernden Produktionsvolumens gezeigt sowie die technische Kompetenz der potenziellen Standorte bewertet. Von zentraler Stelle aus - innerhalb eines Unternehmens - können daraus fundierte Verlagerungsentscheidungen getroffen werden.
In einem Praxisbeispiel wird die Methodik angewendet: Aus den potenziellen Verlage-rungsmöglichkeiten werden in einem Produktionsnetzwerk drei Standorte in Osteuropa, Südamerika und Asien ermittelt. Aufgrund des Vergleichs der Prozessbeherrschung wird eine Empfehlung ausgesprochen, das untersuchte Produktionsvolumen an dem Standort in Osteuropa zu fertigen, da dort die höchste Stabilität der Zykluszeit erreicht wird.
Viele Parameter beeinflussen Verlagerungsentscheidungen, wie z.B. Kultur, Ausbildungsgrad, Lohnkosten oder politische Stabilität. Die struktur- und kompetenzbasierte Methodik zur globalen taktischen Produktionsplanung beleuchtet und quantifiziert die technischen Aspekte der Produktionsverlagerung.